HPV-Impfung - jetzt auch Jungensache

"Wir alle profitieren von der Impfung der Jungen", sagt PD Dr. Andreas Kaufmann, Leiter des Labors für Gynäkologische Tumorimmunologie an der Klinik für Gynäkologie der Charité und Mitglied der Berliner Krebsgesellschaft im Interview. Mit ihm haben wir über die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO), Jungen zwischen neun und 14 Jahren gegen HPV zu impfen, gesprochen.

Die STIKO empfiehlt, nun auch die Jungen impfen zu lassen. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Ich habe schon seit einiger Zeit darauf gewartet und begrüße sie sehr. Zum einen, weil sie darauf hinarbeitet, die Infektionsrate in der deutschen Bevölkerung, insbesondere auch die der Mädchen weiter zu senken und zum anderen, weil Jungen und Männer auch selbst von der Impfung profitieren. Wir wissen heute, dass die Impfung nicht nur vor Gebärmutterhalskrebs schützt, sondern auch vor anderen HPV-assoziierten Krebsarten wie etwa Mund-Rachen-Krebs oder Analkrebs, die auch Männer treffen können.

Warum werden durch die Impfung der Jungen auch die Mädchen geschützt?
Humane Papillomviren werden hauptsächlich beim Sex übertragen und dazu muss man wissen, dass heute jeder zweite sexuell aktive Mann HPV positiv ist. In aller Regel verläuft die Infektion beim Mann unbemerkt und heilt auch schneller wieder ab als bei einer Frau. Dafür reagiert das Immunsystem des Mannes nicht so nachhaltig auf das Virus wie das einer Frau, was erklärt, warum Männer sich immer wieder anstecken und damit eine ständige Infektionsquelle für Frauen darstellen. Die Logik ist also ganz einfach, je mehr Mädchen und auch Jungen geschützt sind, desto seltener kann das Virus beim Sex übertragen werden.

Würde es nicht nach wie vor ausreichen, nur die Mädchen zu impfen?
Wenn sich alle Mädchen impfen ließen, würde es ausreichen. Bedauerlicherweise aber waren 2015 laut Robert Koch Institut* nur 44,6 Prozent der 17-jährigen Mädchen in Deutschland vollständig gegen HP-Viren geimpft. Weil die Impfquote bei den Mädchen so niedrig ausfällt, erreichen wir weder einen Herdenschutz für die nicht geimpften Mädchen noch für die Jungen. Bei HP-Viren schätzen wir heute, dass etwa 85 Prozent aller Jugendlichen geimpft sein müssen, damit sich das Virus nicht weiter verbreiten kann.

Warum hat die STIKO die Impfung für Jungen nicht schon früher empfohlen?
Die erste Impfempfehlung aus dem Jahr 2007 hat das primäre Ziel verfolgt, die Krankheitslast durch den Gebärmutterhalskrebs zu reduzieren. Die damalige Studienlage zeigte, dass die Impfung einen guten Schutz vor dieser Krebsart und den jeweiligen Krebsvorstufen bietet. Demzufolge standen erst einmal die Mädchen und Frauen im Zentrum des Interesses. Später konnten wir zeigen, dass Männer auch an HPV-assoziierten Krebsarten erkranken können, damit sind die Jungen in den Fokus gerückt. Aber auch aus gesundheitsökonomischer Perspektive ist die Impfung der Jungen bei der derzeitigen Impfquote der Mädchen nun sinnvoll, wie eine mathematische Modellierung zeigt, die die STIKO hat vornehmen lassen.

Wie kann der bestmögliche Schutz hergestellt werden?
Streben wir den bestmöglichen individuellen Schutz und den höchsten gesundheitsökonomischen Nutzen an, dann sollten Kinder und Jugendliche noch vor dem ersten Geschlechtsverkehr mit zwei Impfdosen Gardasil 9 geimpft werden. Der seit 2015 auf dem Markt befindliche Impfstoff schützt vor sieben Hochrisiko- und zwei Niedrigrisikotypen der 14 bekannten karzinogenen HP-Viren. Der Impfstoff ist sehr effektiv. 90 Prozent der Zervixkarzinome können durch die Impfung verhindert werden, bei den anderen Krebserkrankungen sogar noch mehr, weil sie hauptsächlich durch den Virustyp 16 hervorgerufen werden. Die Impfung bietet aber auch älteren Frauen noch Schutz. Auch wer schon einmal infiziert war, kann sich wieder anstecken, entweder mit einem anderen HPV-Typus oder sogar mit dem gleichen.

Wäre es vernünftig, alle Frauen zu impfen?
Wenn da nicht die Kosten wären, würde ich jedem Menschen zur Impfung raten. Einfach aus dem Grund, weil der Mensch ein sexuelles Wesen ist und das Virus in jedem Alter übertragen werden kann. Manche Menschen besitzen jedoch ein höheres Risiko Krebs zu entwickeln als andere. Ich denke hierbei an Frauen über 35, die mit HPV infiziert sind oder die sogar eine Krebsvorstufe entwickelt haben. Sie gehören statistisch gesehen zu den 10 Prozent der Frauen, die eine Infektion nicht so gut kontrollieren können wie andere Frauen. Diese Frauen tragen ein höheres Risiko, weil sie bereits ihr Potenzial für infektionsbedingte Gewebeveränderungen gezeigt haben und sollten, prophylaktisch geimpft werden, um weitere Infektionen zu unterbinden.

In der Vergangenheit wurden etliche Diskussionen über die Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung geführt. Konnten die Zweifel der Impfkritiker ausgeräumt werden?
Die Zweifel konnten rational ausgeräumt werden, sonst wäre die Empfehlung nicht ausgesprochen worden. In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass Nebenwirkungen der Impfung äußerst selten auftreten und wenn sie auftreten, gut kontrolliert werden können. Impfungen sollen das Immunsystem ja aktivieren - und deshalb können kurzzeitig impftypische Symptome auftreten, die aber nach 2 bis 3 Tagen wieder verschwinden. Der Präsident des Robert Koch Instituts, Professor Lothar Wieler hat überdies darauf hingewiesen, dass weltweit bisher 270 Millionen Impfungen verabreicht wurden, ohne dass wesentliche Impfkomplikationen aufgetreten sind. Das ist eine beachtliche Zahl und für mich ein Ausdruck dafür, dass die Impfung so sicher ist wie jede andere Standardimpfung.

Können krebserregende HP-Viren durch flächendeckende Impfungen ausgerottet werden?
Das ist meine Vision und durchaus denkbar, weil der Virus ja von Mensch zu Mensch übertragen wird. Ich glaube, wenn weltweit geimpft werden würde, könnten in nur zwei Generationen die impfpräventablen HP-Viren ausgerottet werden ähnlich wie mit der Pockenimpfung. Nachdem die WHO 1967 weltweit die Impfung gegen Pocken durchgesetzt hatte, wurden sie 1980 schon für ausgerottet erklärt. Eine Ansteckung ist heute nicht mehr möglich.

Warum ist die Impfquote ausgerechnet im Land des Erfinders dieser Impfung so schlecht?
In Deutschland gibt es, im Gegensatz zu einigen anderen Ländern, keine Impfpflicht von der Pockenimpfung einmal abgesehen. Hier bleibt die Entscheidung sich impfen zu lassen und die Initiative dazu, jedem selbst überlassen. Die endlosen Debatten über die Sinnhaftigkeit und Wirkung bei Einführung der Impfung haben leider viele Eltern verunsichert. Auch Frauen- und Kinderärzte scheinen orientierungslos zu sein. Ein großer Teil von ihnen spricht die Impfung zum vorgesehenen Alter deshalb nicht an. Aus meiner Sicht kann das Problem nur durch eine groß angelegte Aufklärungs- und Impfkampagne gelöst werden. Unsere europäischen Nachbarn wie Großbritannien oder Schweden erreichen allein deshalb Impfraten über 70 Prozent, weil dort die Impfung an den Schulen angeboten wird. Ein schottischer Kollege fasste es so zusammen: „Key to our success is the very convincing Scottish school nurse.“ Leider können wir in Deutschland nicht auf die Schulkrankenschwester bauen, sondern nur auf unsere Argumente und Zahlen, die aber viele Eltern nicht erreichen. Ich wünsche mir deshalb in der Zukunft mehr Unterstützung von den Gesundheitsbehörden.

*Rieck T, Feig M, Siedler A, et al.: Aktuelles aus der KV-Impfsurveillance – Impfquoten ausgewählter Schutzimpfungen in Deutschland. Epid. Bull., 2018;1:1 – 14. DOI 10.17886/EpiBull-2018-001.

Das Interview führte Maren Müller (Stand 31.8.18).

 

PD Dr. Andreas Kaufmann, Leiter des Labors für Gynäkologische Tumorimmunologie an der Klinik für Gynäkologie der Charité

Fakten zur Impfung

- Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt zur Reduktion der Krankheitslast die Impfung gegen humane Papillomviren (HPV) für Mädchen und Jungen zwischen 9 und 14 Jahren. Die Kosten werden von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen.

- Versäumte Impfungen sollten so früh wie möglich nachgeholt werden - dies kann bis zum Alter von 17 Jahren erfolgen.

- Frauen und Männer älter als 17 Jahre, können von einer HPV-Impfung profitieren. Einzelheiten hierzu sollten ärztlich abgeklärt werden.

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